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 Soft Machine - Sounds - #17 - April 1970






"Für die erste halbe Stunde nach jedem Konzert bin ich kein Mensch mehr", Robert Wyatt, der untersetzte und athletische Drummer der Soft Machine läßt sich in den Sessel einer Amsterdamer Hotelbar zurückfallen und greift sich seinen Cognac. Wer soeben die letzten beiden Stunden im nur wenige Schritte entfernten Concertgebow verbracht hat, der glaubt ihm das gern. Er muß, wie die vier anderen Musiker dieser Gruppe, erschöpft sein von der dicht gerafften und dennoch so langen "Veräußerung" seiner musikalischen Ideen. Auf der anderen Seite lassen sie ein zum Platzen aufgeladenes Publikum zurück, daß sich in einem noch so explosiven und langen Applaus nicht vom inneren Druck der Emotionen entlasten kann, die durch die Fülle eben dieser musikalischen Eindrücke aufgetürmt worden sind. Die Tageszeitungen am darauffolgenden Tag und die nächste Ausgaben der Musikzeitschriften überschlugen sich: bis zu dem Ausruf "Das Konzert des Jahres!", und dabei war es, erst der 17.Januar. 1970. Um es vorwegzunehmen, zu so einem gelungenen Brückenschlag zwischen Musikern und Publikum kam es auf dieser Tournée nicht immer, in der darauffolgenden Woche spielten sie in Kiel, Hamburg und Berlin, und dort sah es z.T. anders aus.




In Holland aber befindet sich die Soft Machine in ihrem ureigensten Land, dort wird sie, wie auch in Frankreich und Belgien, zu den größten der angelsächsischen Musikgruppen gerechnet. Obwohl nie als Single produziert, spielten holländische Sender ihr "Hope for Happiness" von der ersten LP wie einen Hit ohne Unterlaß. Der Belgische Rundfunk, der in seinem täglichen "Nouveau Cap de Nuit" der kreativen Pop-Musik mehr Raum gibt als alle bundesdrepublikanischen Sender zusammen, spielte einen Tag nach dem großartigen Musikfestival von Amougies im letzten Herbst eine dreiviertel Stunde lang aus dem Set der Soft Machine vom Vortage. Wenige Wochen später waren zwei Konzerte der Gruppe in Belgien angesetzt. Derselbe Rundfunk unterbrach sein Morgenprogramm und kündigte großartig die in Amougies so erfolgreiche Soft Machine an, und spielte gleich abermals l0 Minuten aus jenem Konzert. Die im vorigen SOUNDS angekündigte Verleihung eines jährlichen Preises des französischen Kultusministeriums an die Soft Machine darf keineswegs als ein Zeugnis für "angepaßte" Musik angesehen werden, im Gegenteil, die Preisverleiher haben gegenüber "höherer Stelle" nur mit Mühe ihre "Köpfe retten" können, sie haben nämlich den jugendverderbenden Charakter dieser Musik nicht erkannt.

Genug der Popularitätsbeweise von weit her. Lobeszitate wird man allemal für jede Sorte Musik zusammenklauben können. In diesem Zusammenhang sollten sie dennoch in zweierlei Hinsicht dienen: wenn es stimmt, daß sich heutzutage bestimmte Gruppen von Menschen in verschiedenen Ländern viel mehr ähneln, als manche andere Gruppen innerhalb derselben Nation, also Z.B. jene Sorte junger, langhaariger, wenig arbeitsbesessener u.s.w. Leute in Amsterdam, London, und Hamburg mehr gemein miteinander haben als mit sogenannten Landsleuten anderer Provenienz, dann kann man nunmehr die Gewißheit aussprechen, daß die Soft Machine, die am 4. April zum ersten Mal vor großem deutschen Festival-Publikum in Köln auftreten wird (u.U. noch davor in Hamburg) ihr Publikum in diesem Lande finden wird. Zweitens waren die Zeugnisse breitgestreuter, enthusiastischer Aufnahme als Belege gedacht, die Soft Machine von dem ihr von einigen prätentiösen Kritikern aufgeklebten Etikett, eine intellektuell-akademische Musik zu machen, zu befreien.

Kurz nachdem Wyatt sich etwas nach jenem Konzert erholt hatte, wurde er von einem Interviewer in Beschlag genommen. Eine der Fragen hieß "Als was würden Sie Ihre Musik denn selbst bezeichnen?" Wyatt: "Laut, sehr laut." Und diese Antwort war nicht als ein leicht arroganter Scherz gemeint. Im ersten Moment spürte man deutlich seine Hilflosigkeit, der eigenen Musik einen Namen zu geben, und so wählte er eines von vielen Merkmalen, die diese Musik beschreiben könnten, aber es gibt eben keine Bezeichnung, die mit einem Wort eine Vorstellung dieser Musik vermitteln kann. "Progressiver Pop", "Jazz Rock" und ähnliche Markenbezeichnungen verleiten zu leicht' zu Mißverständnissen. Sie erfassen z.B. einfach überhaupt nicht, die Bemühungen der Soft Machine, sich vom Jazz abzusetzen. Wohl wird mancherorts behauptet, die Gruppe sage von sich, sie spiele Avantgarde-Jazz, das ist ein Irrtum oder eine statusheischende Lüge. Musik kann niemals von den Menschen, die sie machen, und von der Art und den Situationen in denen sie veranstaltet wird, abgelöst werden. In den Augen der Musiker der Soft Machine ist das Jazz-Geschehen von einigen Attributen umgeben, die sie selber unbedingt vermeiden wollen, z.B. das Flair des Elitären, das dem Jazz in vielfaltiger Gestalt anhängt.

Lyn Dobson, Multiinstrumentalist (Flöte, Tenor- und Sopransaxophon, Mundharmonika) der Gruppe, spielte eine Zeit lang auch mit "Free-Jazz" Leuten, als ihm beim Oben plötzlich eine, wie er meinte, schöne Melodie einfiel und er spielte, unterbrachen die anderen und fragten abweisend: "Was? Eine Melodie?". In der Soft Machine ist Dobson frei, wie ein "Free Jazzer" zu blasen und seine Soli mit unmittelbar zugänglichen Melodien zu bereichern. Er ist aber nicht nur frei, sich selbst nach seinen Vorstellungen zu entfalten, sondern es wird auch von den anderen erwartet, daß ein jeder in der Lage ist, seinen Beitrag so aufzubauen, daß nicht nur ein Mit-Spielen herauskommt, sondern daß ein zusätzliches Element in die Musik als Ganzes eingebracht wird.

Dabei spielt z.B. die Wahl der Instrumente keine Rolle, das ist jedem selbst überlassen. Dobson nutzt zur Zeit jede freie Minute, sein ohnehin schon beeindruckendes Sitar-Spiel zu vervollkommnen, aber er hat sie noch nie mit auf die Bühne gebracht. Wyatt meint dazu: "Wahrscheinlich wird er sie eines Tages mit zum Üben bringen, und er wird allein von sich aus anfangen, sie mit einzubauen."

Der Baßgitarrist Hugh Hopper hat sein Instrument aus der weit verbreiteten Unterwürfigkeit unter die Solostimmen herausgeholt. Diese emanzipative Entwicklung vollzog sich bei ihm vor allem im letzten halben Jahr, er hat Wyatt des öfteren dazu gebracht, sein Schlagen zu vergessen und ihm mit offenem Mund zuzuhören. Die Koppelung an eine Fuzz-Box, die Hopper sehr effektiv und oft überraschend einsetzt, schafft Klänge, deren Erzeugung man eher bei den Baßpedalen der Orgel vermutet. Der individuelle Orgelsound von Michael Ratledge ermöglicht es, nach hundert Orgeln seine Orgel sofort blind herauszuhören. Dem Schulprimus und glänzenden Oxfordabsolventen Ratledge ist es wohl vor allem zuzuschreiben, daß die Soft Machine als superintellektuell hochgestempelt wurde. Was der sonst sehr gehemmte und schüchterne Ratledge bei visuell unterkühlt wirkender Spielweise an der Orgel freiläßt, gemahnt bei aller Komplexität an eine wahre Flut von Triebabfuhr. Mit den angeschlossenen Fuzz- und Wha-Wha-Pedalen und bei einer hervorragenden Technik steht ihm eine Vielfalt von eigenwilligen Klangfarben und Schwingungsmanipulationen offen, wobei ihm der ausgefallene Klang seiner Orgel noch entgegen kommt, eine Lowrey Holiday de Luxe. Selbst bei der wahnwitzigen Geschwindigkeit der Läufe seiner rechten Hand, kann man Manipulationen einzelner Töne noch wahrnehmen, die Kontakte innerhalb einzelner Töne reißen ab und springen nach kaum wahrnehmbaren Bruchteilen einer Sekunde wieder an. Manchmal finde ich, daß er ganze Reihen von Tönen halb zu Tode quält, gewiß, das ist Empfindungssache, aber nachempfindbar, das weiß ich bereits. Auf der anderen Seite, und sehr häufig in abrupten Wechseln erzeugt er ein seidenweiches, nahtloses Wha-Wha, das sich mit einem Solo von Elton Dean oder Lyn Dobson zu einem seltsamen, für die Soft Machine typischen Sound vermischt. Elton Dean, der vor Jahren mit Soul angefangen hatte, mit einer irischen Show-Band durch Deutschland zog, der schon alles an den Nagel gehängt hatte, als ihm sein einziges Instrument gestohlen wurde, dann doch wieder von Long John Baldry zum Weiterspielen ermuntert wurde, und eines Tages, von sich selbst überrascht, begriff, daß er auch Jazz spielen kann, fürht seit einiger Zeit ein Doppelleben: Er spielt zur gleichen Zeit noch in der englischen Keith Tippett Jazz Group. Bei kollidierenden Terminen hat meist die Tippett Jazz Group den Vortritt. In beiden Gruppen fühlt er sich wohl, und kann er sich musikalisch entfalten. Sein Spiel auf Alt-Saxophon entzieht sich völlig meinen Versuchen, es in Worten zu beschreiben.

Es war während der erwähnten Tournee, als die Pause zwischen den beiden langen und geschlossenen Sets fortzufallen begann. In Hamburg geschah es zum ersten Mal, daß sie nach den ersten 40 Minuten nicht von der Bühne gingen, sondern nach weniger als einer Minute mit der Orgelintroduktion zu dem zweiten, etwa eine ganze Stunde dauernden Set begannen. Einige Male lief es noch nach dem alten Muster, aber inzwischen ist es zu einem Strukturelement ihrer Live-Musik geworden. überflüssig zu sagen, daß Drummer Robert Wyatt, ununterbrochen den zeitlichen Ablauf einteilende Rhythmen schlägt, außergewöhnlich aber erscheint seine Vielfalt von Mustern und Rastern, mit denen er die Aufgabe, ein ständiger Halt und Orientierungsfaden für alle anderen zu sein, erfüllt. Dabei hat er Bewegungsspielraum, mit Michael Ratledge trägt er ganze Kämpfe aus, von denen das Publikum normalerweise gar nichts mitbekommt. Seine Schlagtechnik weicht von der orthodoxen Weise, aus dem Handgelenk zu schlagen, ab. Er setzt die Schläge meist im Oberarm an, das bewirkt einen höheren Kräfteverschleiß. Einer technischen Perfektion à la Lehrbuch nachzujagen interessiert ihn und alle anderen nicht im geringsten. Technik hat für sie nur insofern Bedeutung, als jeder von ihnen genau die Fertigkeiten beherrschen muß, die ihn in die Lage versetzen, all das machen zu können, was man in seinem Kopf an Vorstellungen entwickelt hat und gern realisieren möchte, also nichts anderes als diese Kongruenz zwischen Ideen und dem Können, diese Ideen umzusetzen. Darüberhinaus wird Technik zur Farce, und dient nur dazu, oberflächliche Techniker zum Jubeln zu bringen.





Als Hopper in die Gruppe eintrat, war er völlig aus der Obung, dennoch gab man ihm den Vorzug vor vielen anderen brilliant aufspielenden Gitarristen, es ging nämlich vielmehr um die Wahl der "richtigen" Persönlichkeit (das Problem hatte sich gestellt, als der jetzt solo gehende Kevin Ayers ausgeschieden war, etwa zum Jahreswechsel 68/69.) So formuliert Wyatt denn auch das Hauptproblem der Gruppe, solange sie existiert: Es ging darum, die "richtigen" Individuen zusammenzubringen, dagegen wird alles andere eine sekundäre Frage. Die Technik bleibt ein wichtiges Problem, und der technische Stand aller fünf Musiker einmal gewaltsam abstrahiert, sucht in der Pop-Welt seinesgleichen. Denn die musikalischen Ideen der Soft Machine sind eben derart reichhaltig und komplex und intuitiv, daß sie sich ein gewaltiges Repertoire an handwerklichem Können zulegen muß, um ihre Vorstellungen am Instrument gerecht werden zu können.

Die meiste Musik komponiert z.Zt. Michael Ratledge, an zweiter Stelle Hugh Hopper. Sie spielen ihre Kompositionen auf Band und geben das dem Drummer, der dann vor dem Problem steht, seinen Part dazu einzuüben. Die beiden Bläser, die nach dem jahrelangen Bestehen des Kerntrios, hinzukamen, sind zum Teil streng an Komposition und Arrangement gebunden, verfügen darüberhinaus aber über die erwähnten Freiräume.

Würde ein Interviewer die obligate Frage nach den Einflüssen stellen, oder geschickter fragen, welcher Musik die einzelnen Musiker gern zuhören, dann kommt so ein seltsames Spektrum heraus, daß die ganze Unzulänglichkeit, aus der Summe der Einflüsse etwas Wesentliches der durch sie neu entstandenen Musik zu erfassen, mit einem Schlage sichtbar wird. Ratledge ist von Guillaume de Machaut, einem französischen Komponisten des Mittelalters, begeistert. Dessen Messe de Notre Dame ist die älteste überlieferte polyphone Messe der abendländischen Musikliteratur. Außerdem von Josquin de Prés, der lebte ein Jahrhundert später. Wie man auch im Interview Februar-SOUNDS nachlesen kann, hört er fast täglich Coltrane. Darüberhinaus ist er stark an Terry Riley interessiert, von dem er gern Kompositionen aufgreifen und verarbeiten möchte. Robert Wyatt hört gern Sly and the Family Stone und prophezeit, daß man eines Tages die Drummer hinter James Brown, nicht ihn selbst und seine Musik, angemessen würdigen wird, für ihn sind sie ungeheuer wichtig, obgleich er keinen ihrer Namen zu nennen weiß. Außerdem mag er die Magical Mystery Tour, daß die Beatles und die Stones so gut wie die einzigen Gruppen seien, die bei ihrer Musik niemals Kompromisse gemacht hätten. Lyn Dobson, früher auch einige Zeit bei Manfred Mann, überhaupt ein musikalischer Spätzünder - vor 19 hatte er kein Instrument richtig angefaßt - unterliegt stark asiatischen Einflüssen, während des Live-Auftritts begegnet das einem am ehesten bei seiner Gesangseinlage, seine Stimme wie ein Instrument handhabend, kann er den Zuhörer bei einiger Phantasie ins tibetanische Hochgebirge versetzen. Coltrane bedeutet ihm viel, alles andere im Jazz wenig. Während der kurzen Zeit mit der Humble Pie, als er an deren LP mitarbeitete, gewann er eine große Meinung von Steve Marriott, kein Techniker sondern ein Vollblutmusiker. Für Hugh Hopper war die ganze Tournee im Januar zugleich eine Art Hochzeitsreise, ich kam so gut wie nie dazu, mit ihm zu reden.

Aufschlußreicher als alle Interviews und alle Beschreibungsversuche, den vorliegenden einbegriffen, fand ich eine fettgedruckte Notiz in der Lokalzeitung von Groningen am Tage nach dem dortigen Konzert der Soft Machine, sie nahm den ganzen Raum ein, der für eine Besprechung vorgesehen worden war. Sie lautete etwa: ich sollte hier über das Konzert der Soft Machine schreiben, aber ich kann es nicht mehr, man kann nur hingehen und sie sich anhören.

Die dritte LP der Soft Machine ist in Produktion, die Gruppe bemüht sich ihren derzeitigen Live-Auftritt so getreu wie möglich auf diese Platte zu bringen. Hoffentlich gelingt das.

Winfried Trenkler
Fotos : M.Szulc Krzyzanowski
       
     
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