Ich habe oft Leute getroffen, bin in Kinos gegangen oder Ähnliches. Es gibt aber auch andere Wochen, in denen ich mich gar nicht so besonders gut fühle, und ich nehme in irgendeinem Studio in ein paar Stunden etwas auf. Das ist es eben, was für die meisten zählt, aber ich vergesse solche eine Woche vielleicht vollständig. Was also wirklich in meinem Leben passiert, was ich erlebe und wahrnehme ist nun mal nicht auf einer Schallplatte zu finden.
Von Ereignissen herumgetragen |
R.: Ich kämpfe nicht sehr, um mir Situationen zu schaffen, die mir gefallen könnten. Ich habe auch keine konkreten Pläne; ich lasse Vieles auf mich zukommen. Die einzigen Entscheidungen, die ich treffe, sind negativ: „Ich will dies nicht tun, ich kann das nicht tun ... u.s.w.", bis mir schließlich noch höchstens eine Alternative übrigbleibt. Wenn etwas schwierig aussieht, dann begeb ich mich eben zu etwas Anderem, was mir leichter erscheint. Daher ist mein Verhalten sehr von äußeren Geschehnissen bestimmt. Ich glaube, ich habe in erster Linie nur deswegen angefangen, Musik zu machen, weil es für mich damals wohl die günstigste Alternative war. Alles Andere erschien mir viel zu schwierig.
Seit den 70'er Jahren ist die praktische Seite meiner Tätigkeit als Musiker immer schwieriger zu realisieren, einfach weil ich im Rollstuhl bin, und daher leb ich auch nicht mehr das Leben, das Musiker so führen. Es ruft halt kein Manager mehr an, der sagt: „Bring mal eben den PA rüber". Nichts dergleichen. Bis zu einem gewissen Grade wehrte ich mich anfangs gegen diese Situation, aber später kümmerte ich mich auch mehr um andere Dinge. So kam ich dann zu ganz anderen Aktivitäten, ohne es so recht zu bemerken.
Ich bin oft ins Kino gegangen; das fällt mir zu den späten 70'ern ein. Meine Frau, die beruflich damit zu tun hat, hat mich oft zu interessanten Filmen mitgenommen. Es war vielleicht die größte und stimulierendste Sache für mich, all diese Filme zu sehen. Ich bin eben seit vielen Jahren nicht mehr in der Lage, selbständig herumzufahren. Sicher waren die Filme für mich auch eine geistige Kompensation dafür, daß ich behindert bin. Und so hab ich mich auch manchmal nicht darum gekümmert, ob die Filme gut oder schlecht waren. Es ging mir einfach darum, eine andere Lebensperspektive zu erfahren. Ich bekam fast Platzangst, als ich immer zu Hause saß und so viel TV sah, wo dauernd eine englische oder amerikanische Version von irgendwas abläuft. Ich fühlte mich eingeschlossen. Daher hatte das Kino schon einen befreienden Einfluß auf mich, mehr als das, was musikalisch in den späten 70'ern passiert ist. Mir ist zwar nicht bewußt, ob und wie sich diese Erfahrungen auf meine jetzige Arbeit auswirken, aber diese Sache ist mir immernoch wichtig.
(Robert philosophiert dann über die Träume seines Hundes, der gerade etwas unruhig im Zimmer herumläuft:) Ich würde sonstwas darum geben, wenn ich sähe, was er träumt.
?: Wenn es soviele andere wichtige Dinge im Leben gibt, sollte man sich nicht an Stelle mit Musik besser z.B. im sozialpolitischen Bereich engagieren?
R.: Ich kenne das Gefühl sehr gut, wenn man nach dem besten Weg sucht, sich selbst zu engagieren. Ich kann manche Dinge nun mal physisch nicht realisieren, weil ich eben im Rollstuhl bin.
Manche Leute, die mich besuchen, sagen, es sei ganz nett und sehr relaxed hier. Aber so fühle ich mich nur über die Hälfte meiner Zeit, in der anderen Hälfte bin ich oft sehr frustriert, denn ich muß ein weitaus zurückgezogeneres Leben führen als es mir lieb ist. Manchmal möchte ich, ... ich weiß nicht... vielleicht an der Front sein und den Angolanern helfen gegen die Südafrikaner zu kämpfen. So kann ich oft nicht die Menschen erreichen, mit denen ich mich verbunden fühle
?: Das siehst du vielleicht zu sehr aus deiner Situation. Das Problem besteht doch wohl auch für diejenigen, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung eher dazu in der Lage sind, ihre Ideen zu verwirklichen?
R.: Ja, natürlich. Ich weiß nicht, wie ich Entscheidungen treffen würde, wenn ich einen größeren Aktionsspielraum hätte und ob ich dann die Dinge tun würde, die ich eigentlich vorhätte zu tun.
Die gewisse Anonymität
R.: Ich glaube, daß ich mich in erster Linie gar nicht so sehr ausdrücken will, um „mein Zeichen" zu hinterlassen. Die Hauptsache ist für mich, in meinem Leben viele interessante Dinge zu erfahren. Manchmal ist eine gewisse Anonymität schon sehr gut. Ich kannte jemanden, der damit ein echtes Problem hatte. 1968 war ich oft mit ihm zusammen. Ich meine Jimi Hendrix. Er war niemals in einer anonymen Situation, denn er war entweder auf der Bühne oder in einer vom Manager errichteten Schutzzone. Wenn du nicht mehr irgendwo sein kannst, wo dich niemand kennt und wo du machen kannst, was du willst, dann vermißt du wirklich etwas Wesentliches.
?: Bezieht sich der Alifib/Alifie-Song auf deiner Rock Bottom-LP auf deine Frau?
R.: Ja, es ist aber auch ein Wortspiel bzgl. „Alive" Und „Fib" bedeutet im Englischen eine kleine Lüge.
?: Ich frag das nur, weil ich vor etwa einem Jahr in einer stressigen Situation war. Da habe ich dieses Lied sehr oft und sehr gern gehört.
R.: Das find ich schön. Es ist gut zu wissen, jemandem etwas geben zu können. Ich glaube, viele (Musiker) wissen gar nicht, was ihr Tun für eine Auswirkung hat. Sogar wenn man einen klaren Grund hat, etwas zu tun, so können sich dennoch die Gefühle und Gedanken eines Hörers sehr von den eigenen unterscheiden.
(In einer Kneipe Nähe Roberts Wohnung erzählte Robert u.a. noch eine kleine Episode aus früheren Zeiten:)
R.: Als ich 1974 meine erste Single ,,I'm a believer" machte, da meinte jemand während der Aufnahme zu mir, ob ich nicht etwas vom Ende des Stückes an den Anfang setzen könnte, weil der Disc-Jockey Tony Blackburn solche Intros nicht mag. Und ich dachte mir, Moment mal, nie zuvor hat mir jemand gesagt, was ich auf einer Platte machen soll, nur um es jemandem Recht zu machen.
?: (Kann ich mir doch nicht den schlauen Schlußgedanken verkneifen: Punk hat doch Einiges verändert!)
Hier noch eine Übersicht an Schallplatten, an denen Robert Wyatt maßgeblich beteiligt war:
LP's:
The Soft Machine
Soft Machine Vol. l
Soft Machine Vol. 2
Soft Machine 3
Soft Machine 4
Soft Machine — Triple Echo
Robert Wyatt — End of an ear
Robert Wyatt — Rock bottom
Robert Wyatt — Ruth is stranger than Richard
Matching Mole — 1
Matching Mole — Little red record
Mike Mantler — The hapless child
Mike Mantler — Silence
Nick Mason — Fictitious sports
Singles:
I'm a believer
Yesterday man
Arauco/Caimanera
At last l am free/Strange fruit
Stalin wasn't stalling
Grass
Wolfgang Hanka